Die Logistik der Propaganda und Desinformation
Wie gefährliche Narrative in unsere Gesellschaften gelangen.
Die Beeinflussung westlicher Demokratien durch sogenannte „Aktive Maßnahmen“, wie der KGB im Kalten Krieg die Manipulation unseres Informationsraums durch vielseitige Instrumente bezeichnete, hat eine uralte Tradition.(s. Artikel SunTsu) Dabei werden Desinformationen platziert, nach Möglichkeit tatsächlich existierende Missstände angefacht und spaltende, irreführende sowie schwächende Narrative verbreitet. Was erstaunlich ist: Praktisch alle Methoden, die im Kalten Krieg diesbezüglich genutzt wurden, sind auch heute noch im Einsatz. Die Behauptung, dass heute „alles“ digital gemacht wird, stimmt nicht. Was aber richtig ist, ist, dass digitale Operationen – egal ob Hacking oder die berühmten Trollfarmen und Fake-News-Websiten – eine enorme Rolle spielen. Aber diese effektiven „Transportmittel“ haben die klassischen „Aktiven Maßnahmen“ nur ergänzt, eben nicht ersetzt.
Das digitale Zeitalter bedingt auch, dass längst nicht nur Mächte wie die Sowjetunion (heute Russland) das Instrumentarium an Aktiven Maßnahmen ausschöpfen, sondern natürlich auch China, aber auch kleinere Player wie z. B. der Iran oder Venezuela. Der weltweite Top-Player auf diesem Gebiet bleibt aber Russland, das nicht nur auf die Erfahrungswerte aus dem Kalten Krieg setzen kann, sondern propagandistisch auch in vielen Teilen von der historischen Arbeit des KGB profitiert.
Ein Beispiel dafür ist die Instrumentalisierung und Infiltration der westlichen Friedensbewegung im Kalten Krieg. Viele westliche Friedensaktivisten, die von den einseitig antiwestlichen Narrativen dieser Zeit beeinflusst wurden – also die Aggression nur bei der NATO suchten und Moskau grundsätzlich nur „Friedenswillen“ unterstellten – teilen dieses Weltbild noch heute und sind entsprechend für zeitgenössische russische Propagandanarrative empfänglich. In diesem Fall muss Russland gar nicht mehr überzeugen; die Aufgabe besteht eher darin, diese Stimmen zu stärken und zu nutzen – ein Vorgang, der auf Social Media leicht zu bewerkstelligen ist, weil die Algorithmen auf Interaktion gut ansprechen.
Diese Zielgruppe ist zB. auch gut für das (auch von INVED widerlegt) Narrativ empfänglich, dass die NATO-Osterweiterung für die russische Vollinvasion, die Annexion der Krim und die verdeckte Invasion des Donbas 2014 verantwortlich wäre. Längst hat der Kreml (und auch andere autoritäre Regime) neue, zusätzliche Zielgruppen entdeckt – welche aber, es wiederholt sich das Muster der Medienstrategie, die alten Zielgruppen nicht ersetzten, sondern ebenfalls ergänzten. Die extreme Rechte spielt heute ebenso eine Rolle wie die verschwörungstheoretische Szene, sowjetnostalgische autoritäre Linke und manche Rechtskatholiken.
Diese Grafik zeigt die unterschiedlichen Kanäle, die für ausländische Einflussnahme genutzt werden.
Grundsätzlich ist es natürlich der propagandistische „Goldstandard“ autoritärer Staaten, gewisse Narrative bis in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Dafür sind „Einflussagenten“ – westliche Personen, welche wissentlich oder unwissentlich für ein autoritäres Regime argumentieren, vielleicht sogar lobbyieren, aber ein hohes Vertrauen und Einfluss in der Gesellschaft genießen – ideal. Das können Autoren sein, Personen aus der Wissenschaft, manchmal auch Journalisten, Friedensaktivisten, religiöse Persönlichkeiten oder Künstler sein.
Autoritäre Staaten nutzen vielseitige Kanäle um ihre Zielgruppe zu erreichen
Wer an „Foreign Interference“ oder, wie die EU es ausdrückt, FIMI – Foreign Information Manipulation Interference, also die Manipulation unseres Informationsraumes aus dem Ausland – denkt, landet wohl sehr rasch im digitalen Raum, der tatsächlich eine extrem gewichtige Rolle spielt. Leider werden andere Bereiche inzwischen in der Analyse völlig übersehen. So wird nach wie vor versucht, Botschaften in traditionelle, etablierte Medien zu schleusen, z. B. mit Presseaussendungen, Gastbeiträgen oder in Talkshows, und generell sind Personen, welche für die Regime werben, von höchster Relevanz.
Diese können als „Proxies“ die Narrative der Diktatoren, sofern subtil genug, in Büchern, Fernsehauftritten und bei Real-Life-Veranstaltungen unters Volk bringen. Die bei diesen Aktivitäten erstellten Inhalte können dann über Social Media als „qualitativer Content“ weiterverbreitet werden, denn auch in den sozialen Medien stellt sich die Frage: Wem glauben Sie mehr – einem anonymen Troll ohne Profilbild oder einem Professor?
Wenn der anonyme Troll verbreitet, dass die NATO-Erweiterung Russland zum Einmarsch „gezwungen“ habe und Putin ja nur seine „Sicherheit“ verteidige, wird das rasch (zu Recht) als russische Propaganda abgehakt. Verbreitet ein Professor für internationale Beziehungen oder ein Ökonom genau das gleiche Narrativ, ist das „hochseriöse Realpolitik“ bzw. eine „kritische Perspektive gegen den Mainstream“ – und verfängt ungleich stärker.
Social Media, das Web generell, spielen also eine enorm wichtige Rolle, könnten aber ohne Inhalte und Publikationen aus der realen Welt nicht solch eine Wirkung entfachen. Plattformen wie Telegram haben aber auch eine besondere Funktion als logistische Drehscheibe – für die neuesten Fakes und Propaganda-Inhalte, bis zu gesperrtem RT- und Sputnik-Content.
Auch die kulturelle Propaganda, oft für Laien gar nicht als solche erkennbar, spielt eine gewichtige Rolle. Sowohl Russland wie auch China wissen diese exzellent zu nutzen. Freundschaftsgesellschaften erreichen Top-Entscheider aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft; die entsprechenden kulturellen, manchmal sogar kulinarischen Beiträge sollen die autoritäre Struktur der Regime reinwaschen und das politische Lobbying-Interesse kaschieren. Dabei sind sie bei vielen autokratischen Staaten gezielt zur Desinformation und Spionage genutzte und zentral gesteuerte Vorfeldorganisationen der Geheimdienste.
Diese Grafik zeigt am Beispiel russischer Einflussoperationen, wie russische oder eben auch pro-russische Akteure bzw. Einflussnehmer in unterschiedliche Medien gelangen. Desto dicker der Verbindungsstrang, umso stärker die Penetration dieser Medien mit entsprechenden Narrativen. Zu beachten ist allerdings, dass auch dünne Linien – sprich: seltenere erfolgreiche Penetrationen – eben auch massive Auswirkungen haben können, da die Erwartungshaltung, mit Propaganda konfrontiert zu werden, bei seriöseren Umfeldern geringer ist und das persönliche Schild in Form von Skepsis weniger stark vorhanden ist.
Zusammengefasst
Traditionelle Wege der Einflussnahme, wie die Infiltration von Organisationen, aber auch die Rekrutierung von westlichen Einflussnehmern, die durch traditionelle Medien wie Bücher, Talkshowauftritte, Gastkommentare oder Beratertätigkeiten Narrative eines autoritären Regimes verbreiten, wurden durch digitale Kanäle wie das Internet oder konkreter Social Media nicht ersetzt, sondern vielmehr ergänzt. Gerade in sozialen Medien – das wird oft unterschätzt – eignet sich Content aus dem „realen Leben“, zum Beispiel Auftritte auf Veranstaltungen, Ausschnitte von Reden russlandfreundlicher Professoren, „Experten“ etc., hervorragend für „glaubwürdige“ Propaganda. Diese Inhalte werden dann oft kommentiert bzw. geteilt mit dem Kommentar: „Schau, sogar die berichten es“ bzw. „Sogar ein Professor sagt es“ etc.
Fazit: Die Propaganda ausländischer Mächte trifft uns überall – wenn auch nicht im gleichen Ausmaß. Allerdings ist sie dort, wo wir sie nicht erwarten, besonders wirksam, weil wir sie im „seriösen“ Umfeld oft nicht erkennen.

Dietmar Pichler ist Chief Analyst und Redakteur bei INVED und verfügt über umfassende Expertise in den Bereichen Desinformation, Medienkompetenz und ausländische Einflussnahme. Er analysiert Desinformationskampagnen sowie propagandistische Einflussstrategien autoritärer Regime. Neben seiner Tätigkeit bei INVED ist er als freiberuflicher Medienkompetenztrainer, Berater für strategische Kommunikation und Desinformationsanalyst in Wien tätig. Er ist Vizepräsident der NGO „Vienna Goes Europe“ und Gründer der Initiative „Disinfo Resilience Network“, die sich der Vernetzung von Fachleuten zur Aufdeckung und Einordnung hybrider Bedrohungen widmet.

