Medvedevs Drohungen wegen Österreichs angeblichen NATO-Beitrittsplänen – Eine Einordnung
Kreml-Propagandist und Ex-Präsident Medvedev attackiert im RT Kommentar Österreich und droht bei einem NATO Beitritt mit militärischen Konsequenzen. Sein Angriff richtet sich gegen die Haltung der Bundesregierung zum russischen Krieg und stützt sich auf die mangelnde Resilienz in Österreich gegenüber russischer Propaganda.
Von Dietmar Pichler
Dmitri Medvedev, ehemaliger Präsident und heute stellvertretender Sicherheitsrat Russlands, fällt speziell seit der russischen Vollinvasion der Ukraine immer wieder mit einer sogar für russische Verhältnisse extremen Rhetorik auf. Diesen Monat nannte er Präsident Macron den “hirnlosen gallischen Hahn”, dem NATO-Generalsekretär Rutte unterstellte er “zu viele Magic Mushrooms” konsumiert zu haben, er ruft dazu auf den “blutigen Kiev clown” (Präsident Zelensky) einzusperren, rund um die Maiparade sprach er in Hinblick auf die Ukraine und ihre Unterstützer von “typhusverseuchten Neonazi-Läusen”, so wie grundsätzlich in der russischen Propaganda alle, die sich nicht der Politik Moskaus unterwerfen oder anschließen wollen entweder entmenschlicht werden oder als “Neonazis” bezeichnet. Das gilt natürlich nicht für sämtliche tatsächlich Rechtsradikale, die der Politik Moskaus und dem russischen Imperialismus zugetan sind, egal ob in oder außerhalb Russlands. Wenn Medvedev nicht gerade mit Angriffen droht und seine Hasstiraden von sich gibt, malt er auch gerne die Landkarten der Ukraine neu. Von dieser ist dann entweder nur noch ein kleiner Teil übrig oder sie verschwindet ganz, wie er am “Tag Russlands” 2024 beim Posten einer entsprechenden Karte, die keine Ukraine, sondern nur noch Russland zeigt, demonstriert hat. Medvedev machte auch unmissverständlich klar, dass für ihn das “Konzept”, dass die Ukraine nicht Russland sei “verschwinden müsse” und die Ukraine Russland sei. Damit ist Medvedev in Russland alles andere als allein, Propagandisten, Politikerinnen und Politiker vertreten diese imperialistischen Ansichten ebenso wie der Präsident selbst, der aber in seiner Rhetorik zumindest international ein wenig vorsichtiger ist.
Trotzdem hält sich gegen diese umfangreiche Evidenz an Positionen und Taten weiterhin die Mär, dass Russland in seinem Krieg gegen die Ukraine nur “Sicherheitsinteressen” verteidigen würde und die NATO-Erweiterung bzw. NATO-Absicht der Ukraine der eigentliche Grund für die Aggressionen gegen das Nachbarland wären.
Apropos NATO: In seiner Rolle als Politiker und Brachialpropagandist hat Medvedev nun auch die Sicherheitsdebatte in Österreich entdeckt und sich in üblicher Manier zu angeblichen NATO-Beitritten und Neutralitätsbrüchen geäußert. In einem Gastkommentar bei RT (vormals Russia Today), mit dem für Medvedev typischen Titel “NATO’s Anschluss” überschüttet er Österreich mit einer Reihe von Vorwürfen. Das ist nicht ungewöhnlich, weil besonders die österreichische Außenministerin Meinl-Reisinger, ähnlich wie die ehemalige deutsche Außenministerin Baerbock, vermehrt im Fadenkreuz der russischen Propaganda steht. Medvedev schreibt: “Nach Finnland und Schweden heizt auch das österreichische Establishment – angefeuert vom blutdürstigen Brüssel – die öffentliche Debatte über die Aufgabe der verfassungsmäßig verankerten Neutralität zugunsten einer NATO-Mitgliedschaft an.” und weiters sagt er: “Die liberale Partei NEOS, geführt von Außenministerin Beate Meinl-Reisinger und begierig, dem Block beizutreten, erhielt bei der letzten Wahl weniger als 10 % der Stimmen. Im Gegensatz dazu bekam die oppositionelle Freiheitliche Partei Österreichs, die sich strikt gegen das blinde Kopieren der militaristischen Agenda Brüssels stellt, die Unterstützung von 37 % der Bürger. Doch wann hat in Europas heutiger Realität der Wille des Volkes jemals wirklich eine Rolle gespielt?” Interessant, dass Medvedev hier direkt die FPÖ erwähnt, sein Wording “militaristische Agenda Brüssels” scheint bekannt, denn es wird auch von Akteuren im deutschsprachigen Raum verwendet, was für ein Zufall. Später im Text wird Medvedev auch noch die ehemalige Außenministerin Kneissl erwähnen, die ja bekanntlich inzwischen in Russland lebt.
Medvedev droht nicht nur mit “Gegenmaßnahmen” wie gegen Finnland und Schweden, sondern spricht sogar davon, dass Einheiten des Bundesheeres in die “Fernoperationspläne der russischen Streitkräfte aufgenommen werden”, sprich angegriffen werden könnten.
Medvedev verurteilt aber auch die österreichische Sicherheitspolitik der Vergangenheit, die internationalen Beteiligungen des Bundesheeres an der gemeinsamen EU-Sicherheitspolitik, zum Beispiel in der Ausbildung. Er spricht sogar, und das ist besonders interessant, von einer “Militarisierung” Österreichs, absurd das gerade in Bezug auf Österreich zu hören von einem Politiker eines Landes, das auf Kriegswirtschaft umgestellt hat und einen imperialistischen Angriffskrieg führt. Medvedev spricht von einer “militaristischen Fraktion der österreichischen Eliten” und von “Österreichs militaristischer Wende”, was, würde er nicht der Vertreter einer kriegführenden Diktatur sein, stark an die Rhetorik großer Teile der “Friedensbewegung” erinnert.
Die österreichischen Medien haben bereits über den Fall berichtet und in den Kommentarspalten kann man unzählige Reaktionen lesen. Viele davon sind von anonymen Trollprofilen, die koordiniert vorgehen oder sogar Teil der russischen Staatspropaganda sind. Nicht wenige der Kommentare kommen aber von realen Menschen und beziehen sich erschreckend positiv auf Medvedevs Drohungen und Propaganda. “Recht hat er” kann man immer wieder lesen. Eine Userin, die bereits seit 2014 immer wieder pro-russisch kommentiert, meinte “Medvedev droht uns Ösis zu Recht”. Ein weiterer User schreibt, dass er schon allein deshalb gegen einen NATO-Beitritt wäre, weil für ihn die NATO die größere Gefahr darstellt als Russland. Eine Frau beschwert sich, dass österreichische Medien angeblich die Aussagen Medvedevs verzerrt wiedergeben würde und postet eine Übersetzung von der Pressestelle der russischen Botschaft in Wien.
Das sind durchaus keine Einzelfälle und reflektieren einen Diskurs in Österreich, der die NATO, bei der die absolute Mehrheit der europäischen Partner Österreichs Mitglied ist, dämonisiert und einen sachlichen Diskurs, ganz unabhängig von einem hypothetischen österreichischen Beitritt, nicht zulässt. Es scheint, als hätten viele in Österreich tatsächlich auch 2025 noch mehr Angst vor der NATO (warum eigentlich?) oder vor einem NATO-Beitritt als vor Russland. Dieser Diskurs der “Rationalisierung” des russischen Angriffskrieges als “Verteidigung gegen die NATO” ist in Österreich nicht nur ganz rechts, sondern auch ganz links und teilweise im akademischen Milieu und damit auch manchmal medial sehr präsent. Umgekehrt wird von diesen Akteuren dem russischen Imperialismus und der menschenverachtenden, strategisch umfangreichen und umfassenden Propaganda nach innen wie auch nach außen wenig oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt.
Meduza (2024): Dmitry Medvedev says Ukraine is definitely Russia and presents map showing Ukraine divided between neighbors. Abgerufen am 29. August 2025 von: https://meduza.io/en/news/2024/03/04/dmitry-medvedev-says-ukraine-is-definitely-russia-and-presents-map-showing-ukraine-divided-between-neighbors
EU vs Disinfo (o. J.): Russia is not pursuing imperialist interests in Ukraine. Abgerufen am 29. August 2025 von: https://euvsdisinfo.eu/report/russia-is-not-pursuing-imperialist-interests-in-ukraine/
Tagesschau (o. J.): Medwedew – Porträt. Abgerufen am 29. August 2025 von: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/medwedew-portraet-100.html
RT (2024): Dmitry Medvedev warns Austria of NATO membership. Abgerufen am 29. August 2025 von: https://www.rt.com/news/623617-dmitry-medvedev-austria-nato/
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