Russlands Versuch akademische Räume zu manipulieren
Wie Russland versucht den akademischen Raum zu beeinflussen, zeigte kürzlich exemplarisch ein Projekt, das versucht hat über das Thema Umwelt in der Ostsee sowohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie auch NGOs und die aktivistische Szene anzuziehen. Recherchen internationaler Medien 2023 und aktuelle Enthüllungen aus Norwegen zeigen ein erschreckendes Bild.
Von Dietmar Pichler
Geleakte Dokumente zeigten bereits 2023, dass bewusst versucht wird westliche Akteure einzuspannen um subtil eine geopolitische, antiwestliche Sicherheitspolitik zu verbreiten. Dabei werden scheinbar unpolitische Themen wie Umweltschutz oder der Schutz der Ostsee als Vorwand genutzt, Kontakte auszubauen und propagandistische Narrative zu verbreiten.
Dabei ist natürlich nicht gesagt, dass die westlichen Akteure, die für solche Operationen kontaktiert werden oder eingebunden werden sollen, immer auch prorussisch wären oder sich der Instrumentalisierung bewusst sind. Die bei den Recherchen gefundenen Namen wiesen zum Teil zurück kontaktiert worden zu sein oder widersprachen bewusst Teil einer Einflussoperation gewesen zu sein. Veranstaltungen, so jüngste norwegische Recherchen, haben aber stattgefunden.
Der Versuch sowohl im akademischen Milieu wie auch in diplomatischen Formaten und im NGO-Sektor Einfluss zu nehmen, ist keine neue Strategie. Auch die Sowjetunion war diesbezüglich bereits hochaktiv, zum Beispiel bei der Infiltration der Friedensbewegung und der Etablierung sogenannter Frontorganisationen. Wenige wissen aber, dass diese Strategien noch heute hochaktuell sind. Konferenzen werden genutzt um westliche Wissenschaftler, Ex-Politiker und Diplomaten und andere Stakeholder zu umgarnen, sie zu beeinflussen oder als zukünftige Einflusspersonen sanft also unbewusst zu rekrutieren.
Es gibt aber auch direkte Benefits für Personen, die sich von den Autokraten “einspannen” lassen. Russland, aber auch China, verfügen über Ressourcen, um genehme westliche einflussreiche Personen im Netz entsprechend durch Likes und Shares und das Anheizen des Algorithmus zu pushen. Die Nachbearbeitung im Cyberraum gilt nicht nur für die aus russischer Sicht nützlichen Personen, sondern auch für Veranstaltungen, zum Beispiel Videomitschnitte, die auf Social Media gepostet werden. Schreiben kremlfreundliche Autoren Bücher, ist es ein Leichtes diese über Käufe nicht nur querzufinanzieren, sondern auch deren Ranking entsprechend zu steigern und sie damit indirekt zu bewerben. Es kann aber auch zu Sponsoring für Buchprojekte kommen, zum Beispiel durch kremlnahe Oligarchen.
Bei Postings zu Konferenzen, die ohnehin schon laut Recherchen im Verdacht standen durch russische Dienste infiltriert, manipuliert oder gar inszeniert zu sein, auch über verdeckte Finanzierungen, konnte zudem beobachtet werden, dass offensichtliche Trollprofile entsprechende Narrative platzierten. Diese Accounts konnten insofern als Fakes identifiziert werden, als dass sie alle auf ihren Profilseiten die gleichen russischen Websites beworben haben und obwohl sie behauptet haben aus Italien oder Großbritannien zu kommen, ihre Bilder teilweise in russische soziale Netzwerke zurückverfolgbar waren.
Tabuthema: Russischer und chinesischer Einfluss außerhalb von Social Media
Wenn über russische oder chinesische Propaganda und Fake News gesprochen wird, richtet sich der Blick fast ausschließlich auf Social Media und sogenannte „Alternativmedien“ im Netz. Doch wer mit offenen Augen durch Buchhandlungen geht, Veranstaltungen besucht – seien es Friedensfestivals, Konferenzen, Podiumsdiskussionen oder Talkshows im Fernsehen – oder in die Hörsäle der Universitäten schaut, begegnet immer wieder prorussischen, prochinesischen und antiwestlichen Schlagseiten bis hin zu offener Desinformation.
Allen diesen Formaten ist gemeinsam, dass reale Menschen dahinterstehen, oft sogar einflussreiche Persönlichkeiten. Dieses Thema wird jedoch weitgehend tabuisiert. Der öffentliche Diskurs lenkt die Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf „anonyme Trollprofile“ oder weit entfernte Trollfarmen. Was dabei ausgeblendet wird, ist die unbequeme Tatsache, dass es zahlreiche bewusste wie unbewusste Kollaborateure propagandistischer Narrative gibt – subtil und offen, im Kulturbetrieb ebenso wie in Wissenschaft, Medien und Politik.
Links:
Zeit Online: „Baltikum: Russland nutzt Scheinorganisation zur Propaganda und Einflussnahme.“ Die Zeit, 27. April 2023, https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-04/baltikum-russland-ostsee-scheinorganisation-propaganda-einflussnahme
Bild: AI Symbolbild