4-W Modell zur Identifikation von Einflussagenten und propagandistischen Akteuren
Derzeit sind, auch aufgrund zahlreicher Vorfälle in Westeuropa, sogenannte „Wegwerfagenten“, also relativ anonyme Personen, die für autoritäre Regime nützliche Dienste leisten, in aller Munde. Sie werden meist über das Netz rekrutiert und mit kleinen Gagen finanziert. Gleichzeitig ist das Thema der klassischen Einflussagenten, wie es sie schon im Kalten Krieg gab, etwas in den Hintergrund geraten.
Als Einflussagent bezeichnet man eine Person, die ihre gesellschaftliche, politische oder mediale Stellung nutzt, um Meinungen oder Entscheidungen so zu beeinflussen, dass sie den Interessen eines fremden Staates dienen. Der Begriff stammt aus dem nachrichtendienstlichen Bereich und wurde besonders während des Kalten Krieges im Rahmen sogenannter „aktiver Maßnahmen“ verwendet. Dabei handelte es sich um verdeckte Operationen, mit denen Geheimdienste Einfluss auf Politik, Medien oder öffentliche Meinung anderer Staaten nahmen – etwa durch Desinformation, gezielte Infiltration oder Manipulation.
Einflussagenten können sowohl bewusst handelnde Personen sein, die unter der Kontrolle eines Geheimdienstes stehen, als auch unbewusste Mitwirkende, sogenannte „nützliche Idioten“, deren Handlungen objektiv den Zielen einer fremden Macht zugutekommen, ohne dass ihnen dies bewusst ist.
Heute wird der Begriff auch im weiteren Sinn gebraucht, etwa im Kontext der hybriden Kriegsführung, um Personen zu beschreiben, die durch öffentliche Äußerungen, Lobbyarbeit oder Medienpräsenz systematisch Narrative oder Positionen autoritärer Staaten unterstützen oder verstärken. Gelegentlich wird auch der Ausdruck „nützliche Idioten“ für Personen verwendet, die ohne persönliche Vorteile oder Gegenleistung die Narrative autoritärer Staaten, fremder Mächte oder Organisationen verbreiten.
Einflussagenten sind, wie der Name schon sagt, Persönlichkeiten, die aufgrund ihrer vergangenen oder aktuellen Positionen einen gewissen Einfluss in der Gesellschaft ausüben. Das können Personen aus Politik, Diplomatie, Militär, Journalismus, Autorenschaft und immer wieder auch aus der Wissenschaft sein. Dieser Einfluss wird im Sinne autoritärer Regime entweder quantitativ ausgeübt, etwa durch Medienpräsenz und Social-Media-Reichweite, oder qualitativ, zum Beispiel durch Lobbying bei Entscheidungsträgern oder durch Ausbildung und Indoktrinierung neuer Multiplikatoren.
Das hier vorgestellte 4W-Modell soll die Einordnung von Einflussagenten und anderen propagandistisch aktiven Akteuren erleichtern.
Das 4W Modell zur Einordnung propagandistisch aktiver Akteure
W 1 – Was sagt die Person?
Hier stellt sich die Frage, welche Narrative die Person bedient und welche Inhalte systematisch ausgelassen werden. Dabei geht es nicht nur darum, ob die Talking Points eines Regimes, zum Beispiel Russlands oder Chinas, massiv wiederholt werden, sondern auch darum, ob offensichtliche Kritikpunkte ausgespart werden. Im Falle Russlands lässt sich häufig das Muster beobachten, dass Sätze fallen wie „Ich verurteile die Invasion im Jahr 2022, aber …“. Nach dem „aber“ folgt dann oft eine lange Liste an Narrativen, die die Invasion relativieren, Ursachen verzerren, Täter-Opfer-Umkehr betreiben oder Kriegsverbrechen wie das Massaker in Bucha in Zweifel ziehen. Es findet keine fundierte Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus oder mit der Moskauer Propagandamaschine statt; stattdessen werden Kremlpositionen ohne Einordnung zitiert. Viele Personen, die dieser Strategie folgen, versuchen, die maximale Relativierung der entsprechenden Regime zu kommunizieren und zugleich den Westen zu dämonisieren, ohne jedoch eindeutig die Grenze zur offenen Propaganda zu überschreiten, um im breiten Diskurs zu verbleiben. Manchmal gelingt das nicht; dann wird die propagandistische Positionierung so offensichtlich, dass die Personen sich später erklären müssen, um Vorwürfen zu begegnen.
W 2 – Wo sagt eine Person etwas?
Auftritte in russischen Propagandamedien, Gastkommentare auf chinesischen Staatskanälen, Interviews bei verschwörungstheoretischen Portalen, Blogs und YouTube-Kanälen sowie Podiumsdiskussionen bei von autoritären Regimen organisierten Konferenzen sagen einiges darüber aus, wie offen eine Person für die Positionen autoritärer Akteure ist. Signifikant ist dieses W erfüllt, wenn die Person wiederholt in derartigen Umfeldern auftritt und damit offenbar kein Problem hat, selbst wenn auf den Charakter der entsprechenden Medien, Kanäle oder Veranstaltungen hingewiesen wurde.
W 3 – Wer sind die Unterstützer und Netzwerkpartner?
Niemand kann etwas für „Applaus aus der falschen Ecke“. Doch auch hier gilt: Tritt das systematisch auf? Werden die Inhalte von einschlägigen Profilen, eventuell sogar von anonymen Propagandaprofilen, massiv verbreitet oder „geboostet“? Dann stellt sich auch die Frage, ob es andere einflussreiche Akteure, potenzielle Einflussagenten oder Organisationen gibt, welche die Person unterstützen. Gibt es offensichtliche Netzwerkbildungen und Kooperationen? Gerade in der prorussischen Szene, auch im subtileren Bereich, gibt es massive Solidarität unter den scheinbar „gecancelten“ oder „zu Unrecht verunglimpften“ Akteuren. Interessant ist, dass subtil wirkende Personen oft mit radikaleren Akteuren gemeinsame Projekte durchführen oder sich gegenseitig öffentlich solidarisch zeigen.
W 4 – Woher kommen Geldflüsse, Zuwendungen und geschäftliche Interessen?
Für eine detaillierte Einsicht, wie propagandistische Leistungen abgegolten werden können, empfiehlt sich der INVED-Artikel „Follow the Money“. Einflussagenten werden oft indirekt vergolten: Man kann ihre Bücher sponsern, ihre Inhalte im Netz gezielt bewerben oder Algorithmen anheizen, um ihre Reichweite und damit ihre Werbeumsätze zu erhöhen. Es gibt auch die Möglichkeit der Bezahlung über redaktionelle Beiträge in Propagandamedien. Oft ist die Vergütung noch indirekter: Es werden teure Reisen zu Konferenzen, luxuriöse Hotels oder schmeichelhafte Zugänge zum Machtapparat gewährt, die karrierefördernd wirken können. Bezahlungen erfolgen häufig über Umwege, etwa durch Oligarchen, Briefkastenfirmen oder sogenannte Proxy-Organisationen.

Dietmar Pichler ist Chief Analyst und Redakteur bei INVED und verfügt über umfassende Expertise in den Bereichen Desinformation, Medienkompetenz und ausländische Einflussnahme. Er analysiert Desinformationskampagnen sowie propagandistische Einflussstrategien autoritärer Regime. Neben seiner Tätigkeit bei INVED ist er als freiberuflicher Medienkompetenztrainer, Berater für strategische Kommunikation und Desinformationsanalyst in Wien tätig. Er ist Vizepräsident der NGO „Vienna Goes Europe“ und Gründer der Initiative „Disinfo Resilience Network“, die sich der Vernetzung von Fachleuten zur Aufdeckung und Einordnung hybrider Bedrohungen widmet.
